„Ich kann jeden verstehen, der Angst davor hat“
Die genetisch bedingte Krankheit, unter der mein Sohn Tobias leidet, machte eine Transplantation früher oder später notwendig. Im Winter 2020 habe ich ihm eine Niere gespendet. Das Thema war 2018 schon einmal aufgekommen. Dann wurde mit Immunsuppression gearbeitet, dadurch hatten wir zwei Jahre gewonnen. Jetzt führte kein Weg mehr an der Transplantation vorbei. Für meine Frau und mich war immer klar, dass einer von uns spendet. Wir haben uns also gegen die Warteliste entschieden – auch wenn Kinder durchschnittlich eine kürzere Wartezeit haben als Erwachsene. Es war uns wichtig, dass Tobias ein möglichst unbeschwertes Leben führen kann, dass es etwa keine negativen Auswirkungen auf sein Wachstum gibt. Auch deshalb wollten wir ihm so schnell wie möglich helfen. Und ich dachte mir: Jetzt bin ich gesund und kann spenden, aber wer weiß, ob ich das auch in zehn oder 15 Jahren noch bin.
Zwei Jahre vorher hatten meine Frau und ich gesagt: Wer besser passt, steigt in den Ring. Die Tests an der Uniklinik Köln ergaben, dass beide gleich gut spenden können. Letztlich haben wir uns dafür entschieden, dass ich Tobias eine Niere spende. Mir war klar: Die gesundheitlichen Risiken liegen für mich im Promillebereich.
Die Lebendspende darf den Spender nicht gefährden
Es ist ein Grundsatz der Lebendspende, dass sie den Spender nicht gefährden darf. Daher ließ ich von Juni 2020 an checken, ob ich gesund genug bin. Beim Transplantationsaufklärungsgespräch sprach ein Psychologe noch einmal mit mir über die Risiken. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass eine Nierenspende danebengeht. Inzwischen hatte sich der Gesundheitszustand meines Sohnes unerwartet drastisch verschlechtert. Das Gespräch mit der Ethikkommission fand daher in Essen statt: Dort konnte man uns einen früheren Termin geben, wir hatten nicht mehr so viel Zeit. Als die Kommission dann ihr Okay gab, war ich sehr erleichtert, jetzt konnte die OP bestätigt werden. Es war auch höchste Eisenbahn. Fast wäre der Termin noch gekippt worden: Es war ja Pandemie.
Die Operationen sind bei uns beiden gut gelaufen. Bei mir lag die reine OP-Zeit bei etwa eineinhalb Stunden. Als ich aus der Vollnarkose aufwachte, sollte ich aufstehen. Das hat mich schon ein wenig Mühe gekostet. Am nächsten Tag konnte ich schon rumlaufen und mit Begleitung rüber zu Tobias in die Kinderklinik, danach auch alleine. Entlassen wurde ich eine Woche später, das wäre aber auch etwas früher gegangen.
Die Niere einzusetzen ist aufwendiger als die Entnahme
Bei Tobias hat die Operation länger gedauert. Die Niere einzusetzen ist aufwendiger, da muss man vorsichtiger sein. Die Anschlüsse, von Harnleiterabgang bis Blutzufuhr, müssen stimmen. Die neue Niere kommt nicht an die Stelle der alten, sondern vorne in den Beckenbereich. Tobias lag nach der Transplantation drei Wochen im Krankenhaus. Später musste leider auch seine zweite Niere noch rausgenommen werden, weil sie mehr schadete als nutzte.
Im Anschluss an die Organspende hatte ich keine Probleme. Jährlich muss ich zum Screening an die Uniklinik, bislang wurden da keine Auffälligkeiten festgestellt. Ich sollte ein paar Spielregeln beachten: nicht mit dem Rauchen anzufangen oder stark übergewichtig werden. Aber eigentlich gilt das doch für jeden Menschen. Bei mir würde es das Risiko erhöhen, dass der verbleibenden Niere etwas passiert.
Für mich war die Spende eine Selbstverständlichkeit
Grundsätzlich würde ich es wieder so machen. Denn meine Spende hat dazu geführt, dass mein Sohn nicht an die Dialyse musste. Er nimmt seine Medikamente und muss auf die Trinkmenge achten, ansonsten führt er ein normales Leben. Heute ist Tobias 13, er spielt Fußball, geht aufs Gymnasium, entwickelt sich ganz normal. In seiner Klasse weiß kaum einer, dass er transplantiert ist. Für mich war die Spende, da ich medizinisch passte, eine Selbstverständlichkeit. Ob man die Warteliste nutzt, das muss jeder selbst entscheiden. Ich habe meine Punkte, nach denen ich meine Entscheidung getroffen habe. Die gelten aber nicht für alle. Ich kann auch jeden verstehen, der Angst davor hat. Michael