Rund um die Dialyse

Das Bauchfell als Blutfilter

Die Peritonealdialyse bietet auch jungen Patienten Freiheiten und Flexibilität

Nein, sagt Serhat, oft werde er in der Schule nicht angesprochen auf den Schlauch. Diesen Schlauch, der seit Sommer des vergangenen Jahres an seinem Bauch baumelt. Bevor der heute 14-jährige Junge in die Klasse kam, hatte seine Lehrerin den Mitschülern und Mitschülerinnen schon erzählt, wie es ihm geht, dass er chronisch nierenkrank ist und dass er diesen Schlauch braucht, damit sein Blut weiterhin von Giftstoffen gereinigt wird. Am Ende auch: damit er weiterlebt.

Lange Zeit reichten Medikamente

Bei der Geburt sei noch alles in Ordnung gewesen, sagt Nejla Akburak, seine Mutter. Im Jahr 2005 war Serhat als zweiter Sohn der türkischstämmigen Familie aus Koblenz zur Welt gekommen. Als aber die erste Grunduntersuchung „von Kopf bis Fuß“ anstand, die U2-Untersuchung, machten die Ärzte Ultraschallaufnahmen und sahen, dass etwas mit den Nieren nicht in Ordnung ist. Lange Zeit konnte die Fehlfunktion mit Medikamenten ausgeglichen werden. In seinem 13. Lebensjahr reichte dies nicht mehr. „Zuerst baten wir Serhat, öfter in die Klinik zu kommen. Nicht nur alle zwei, drei Monate, sondern alle vier Wochen. Dann alle zwei Wochen“ erinnert sich Dr. Kathrin Burgmaier. Die Kindernephrologin an der Uniklinik Köln behandelt Serhat gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Christina Taylan; die Dialyse wird inzwischen vom KfH-Nierenzentrum durchgeführt. „Irgendwann mussten wir darüber sprechen, für welche Form der Nierenersatztherapie wir uns entscheiden“.

Serhat Akburak und Kindernephrologin Dr. Kathrin Burgmaier beim regelmäßigen Gesundheits-Check im KfH-Nierenzentrum

Foto: Markus Düppengießer

Ein Abwägen von Vor- und Nachteilen

Es gibt nicht nur sehr unterschiedliche Arten der Nierenkrankheit, bei Serhat etwa sind die Nieren verkalkt, Fachleute sprechen von Nephrocalcinose, es gibt auch verschiedene Methoden unterstützend einzugreifen, wenn die Nieren selbst es nicht mehr schaffen das Blut zu reinigen; nicht nur die bekannteste der Blutwäsche im Nierenzentrum. Die Auswahl hängt von verschiedensten Faktoren ab. „Wir haben ihm beide geläufigen Methoden vorgestellt, die Hämodialyse und die Peritonealdialyse, mit ihren Vor- und Nachteilen“ sagt Burgmaier. „Die Entscheidung für die PD hat dann Serhat getroffen“. Ausschlaggebend war es, dass er bei der klassischen Blutwäsche mehrmals die Woche ins KfH nach Köln hätte kommen müssen. „Man kann sich das zwar schön machen hier“, wirft Burgmaier ein: die Hausaufgaben machen, spielen, soziale Kontakte knüpfen, auch Kunst- und Musiktherapie werden angeboten, aber der Fahrweg von Rheinland-Pfalz nach Köln hat es in sich, es sind jeweils 100 Kilometer hin und zurück.

Dreimal Fussball, einmal Basketball die Woche

Bei der Peritonealdialyse (von Peritoneum, das Bauchfell) können die jungen Patienten und Patientinnen viel selbst machen, nachdem sie geschult wurden, obwohl es schon einige ärztliche Vorgaben gibt und strenge Hygieneregeln einzuhalten sind: Die Peritonealdialyse kann relativ flexibel gehandhabt werden und so geht Serhat, trotz regelmäßiger Blutwäsche viermal in der Woche zum Sport. Dreimal Fussball (bei der Sportgemeinschaft Andernach), einmal Basketball (Turnverein Weißenthurm). „Wegen des Katheters müssen die anderen und ich auch, zwar ein wenig aufpassen“ sagt Serhat aber ich kann das ganze Spiel mitmachen“

Um drei Uhr früh geht der Wecker

Trotz aller Flexibilität hat er einen Tagesablauf wie ihn sich viele Kinder nicht vorstellen können. Viermal am Tag lässt Serhat über den Schlauch je zwei Liter Dialyseflüssigkeit in den Bauch einlaufen, mehrere Stunden arbeiten und dann wieder ablaufen. Meisten sehen die Tage bei ihm so aus, dass er um drei Uhr früh das erste Mal aufsteht um die erste Füllung zu machen. Das Einlaufen-lassen dauert etwa zehn Minuten, dann macht er die Klemme zu und legt sich wieder hin. Um sechs Uhr hilft ihm sein Vater, der als LKW-Fahrer arbeitet, bei der Prozedur des Auslaufen-lassens sowie eines erneuten Einlaufen-lassens. Diese Füllung hat eine lange Verweilzeit im Bauch, acht Stunden lang, also bis nach Schulschluss. Nachmittags nochmal zwei Zyklen a drei Stunden, angepasst an seine Trainingszeiten. Dann der letzte Ablauf bevor er ins Bett geht. Er legt sich mit leerem Bauch hin, die Blutreinigung hat Pause, bis um drei Uhr wieder der Wecker klingelt.

Am besten ein eigenes Zimmer

Während diese Zeiten variabel sind, führt an den strengen Hygieneregeln kein Weg vorbei. „Absolute Sauberkeit ist extrem wichtig“, sagt Burgmaier. „Es gibt eine extra Schulung und die Vorgaben werden immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt. Ein eigenes Zimmer sei nicht zwingend Voraussetzung, ein eigener Bereich schon. Es muss einen Raum geben, in dem man Türen und Fenster schließen kann, der kein Durchgangsbereich ist, wo nicht Hund und Katze jeden Tag viele Male vorbeikommen“. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Dialysestation und Sozialarbeiterin Sandra Brengmann schätzen bei einem Hausbesuch ab, ob die räumlichen Gegebenheiten entsprechend sind. „Es ist schon vorgekommen, dass Familien sich eine neue Wohnung gesucht haben, um Peritonealdialyse durchzuführen“, so Burgmaier. „Früher wäre das auch bei ihnen schwierig geworden“, sagt Neja Akburak, „aber vor drei Jahren haben wir ein Haus gekauft, das ist recht groß. Jetzt hat Serhat ein eigenes Zimmer“. Er braucht den Raum auch für all das Dialysematerial, das er jeden Monat geliefert bekommt. Unmengen an Desinfektionszeug, Mundschutz, Verschlussklappen, Ein- und Auslaufbeutel – alles Einweg. Kartonweise Beutel voller Dialyseflüssigkeit, alles steril verpackt. Neja Akburak: „Das sind jedes Mal zwei bis drei Paletten“.

Jeden Monat werden zwei bis drei Paletten mit Dialysematerial geliefert.

Foto: Privat

Alternative statt Einschränkungen beim Essen

Wie jeder Nierenkranke muss ihr Sohn beim Essen viele Dinge beachten. Ernährungsberatung ist ein kontinuierlicher Prozess, wird immer wieder aufgefrischt, auch von Ernährungsberaterin Karin Oster. „Sollten wir etwa an den Untersuchungswerten sehen, dass zu oft kaliumhaltige Nahrungsmittel wie Kartoffeln auf dem Speiseplan standen, dann erklären wir gerne nochmal, welche Alternativen es da gibt“, so Burgmaier. Grundsätzlich gebe die PD dem Patienten aber etwas mehr Ernährungsfreiheit – „Einschränkungen sollen nicht das vordergründige Thema sein, das kostet ja auch Nerven und drückt die Laune.“

Türkeiurlaub trotz Blutwäsche

Hauptinstrument der Bauchfelldialyse ist der Körper des Patienten. Daher kann Serhat auch längere Schulausflüge mitmachen. So wie im letzten Herbst, als sie für drei Tage nach Diez gefahren sind. „Dabei hat die ganze Klasse zusammengehalten wie ein Team“, hat er seiner Mutter erzählt. Das Dialysematerial musste er natürlich mitnehmen. Und ohne Absprache mit den Ärzten geht gar nichts. So war das auch beim gemeinsamen Familienbesuch in der Türkei, der Urlaub dauerte sogar 12 Tage. Vor dem Flug wurde im Auto eine Dialyse vorgenommen. Flug, Koffer abholen und Grenzabfertigung haben etwa sechs Stunden gedauert. Serhats Opa hatte einen kleinen Bus gemietet, damit er dort sofort Dialyse machen konnte. „Und in den Sommerferien machen wir wieder das Gleiche.“

Methoden der Nierenersatztherapie

Aufgabe der Nieren ist es das Blut zu reinigen, also von Schadstoffen zu befreien. Viele unterschiedliche Erkrankungen können dafür sorgen, dass die Nieren diese Aufgabe nicht mehr erfüllen können. Gleichzeitig gibt es mehrere Möglichkeiten, wie die Funktion der Nieren übernommen werden können. Der Begriff Nierenersatztheraphie fasst diese Methoden zusammen. Mediziner streben erst einmal das Einpflanzen neuer, gesunder Organe in den erkrankten Körper an, die Nierentransplantation ist die beste Theraphie. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Lebend- und Verstobenenspende. Bei Ersterer sind laut Transplantationsgesetz alle, „die eine besondere Beziehung zum Empfänger nachweisen können“, als Spender möglich. Meist allerdings sind es Verwandte, oft Mutter oder Vater, deren Organe dem Erkrankten eingesetzt werden; bei letzterer Möglichkeit vermittelt die Stiftung Eurotransplant mit Sitz in Leiden, die Organe anonym. Da das Angebot die Nachfrage an Spenderorganen bei weitem nicht deckt, regelt eine Warteliste die Reihenfolge der Vergabe. Auf diese Warteliste kommen nur jene nierenkranken Patientinnen und Patienten, bei denen eine Behandlung mit Medikamenten nicht mehr ausreicht und die deshalb mit der Dialyse anfangen müssen, also der Blutwäsche. Es gibt unterschiedliche Reinigungsverfahren. Am bekanntesten ist die Hämodialyse (HD), bei der Patienten drei- oder viermal die Woche für vier bis fünf Stunden an eine Maschine angeschlossen werden. Zudem gibt es die Bauchfelldialyse. Bei dieser Methode wird das Bauchfell des Patienten als Filtermembran genutzt, um das Blut zu reinigen: Diese Haut, die die komplette Bauchöhle jedes Menschen auskleidet, heißt in der Fachsprache Peritoneum, das Verfahren wird daher auch Peritonealdialyse (PD) genannt. Standardverfahren ist dabei die kontinuierliche ambulante PD, bei der der Patient die Dialyseflüssigkeit selbst einfüllt. Varianten der PD sind einmal die automatisierte Peritonealdialyse (APD), bei der der Beutelwechsel durch eine Maschine, den Cycler, erfolgt. Eingesetzt wird diese Methode eher bei kleinen Kindern, die Blutwäsche erfolgt zumeist während der Nacht. Die Heimhämodialyse (HHD), eine weitere Variante, kommt nur in Ausnahmefällen zum Einsatz. Sie ist mit enorm viel Aufwand verbunden: Man muss die Wohnung des Kindes im Grunde austatten wie ein Dialysezentrum.

Peritonealdialyse oder Hämodialyse?

In der Kindernephrologie wird die Peritonealdialyse deutlich öfter eingesetzt, bei erwachsenen Patienten häufiger die Hämodialyse. Die Entscheidung ist immer ein Abwägen der Vor- und Nachteile beider Methoden. Bei der PD können die Erkrankten mehr selber machen, sie müssen allerdings auch gut geschult sein. Klarster Vorteil: Sie können die Dialyse zu Hause vornehmen und sie zumindest teilweise dem eigenen Lebensrhytmus anpassen. Kontrollgänge zum Arzt bleiben zwar nötig, aber die regelmäßigen Dialysen im Zentrum enfallen. HD-Patienten brauchen eine sogenannte Shuntanlage am Unterarm. Denn bei dieser Form der Blutwäsche muss in kurzer Zeit viel Blut ausgetauscht werden, daher wird am Unterarm eine Arterie mit einer Vene verbunden, wodurch sich die Vene deutlich vergrößert. Bei der PD bekommen die Patienten stattdessen einen 15 bis 20 Zentimeter langen Schlauch in die Bauchdecke implantiert, durch den die Dialyselösung zugeführt und abgelassen wird, auch der kann als störend empfunden werden. An diesem Schlauch hat der Körper des Patienten auch eine Eintrittsstelle, die dauerhaft offen ist, also kann man damit nicht schwimmen gehen. HD Patienten können das schon, allerdings werden diese beim klassischen Shunt regelmäßig angepikst; das spricht bei Menschen mit Angst vor Nadeln gegen die Hämodialyse. HD-Patienten bekommen regelmäßig Medikamente, die das Blut für die Maschine gerinnbar machen; diese sogenannte Antikoagulation kann Nebenwirkungen haben.

Durch einen Cycler wie diesen erfolgt der Beutelwechsel bei der automatisierten Peritonealdialyse.

Foto: Markus Düppengießer

So funktioniert Peritonealdialyse

Bei der PD bekommen die Patienten einen Schlauch in die Bauchdecke implantiert, durch ihn wird mehrmals am Tag eine Dialyselösung in den Bauchraum gefüllt und dort über mehrere Stunden belassen. Das Bauchfell ist eine Doppelschicht, die alle Organe überzieht und unter der viele Blutgefäße verlaufen. Es kommt zu einem Stoffaustausch über das Bauchfell, über die Membran entzieht die Flüssigkeit dem Blut die Giftstoffe. Irgendwann ist die Dialysierflüssigkeit gesättigt und wird abgelassen. Je nach Dauer des Zyklus und Art der Flüssigkeit werden andere Stoffe entzogen.

Text: Markus Düppengießer