„Das Auf und Ab nach so einer Transplantation ist groß“
Im September 2022 änderte sich das Leben unserer fünfköpfigen Familie schlagartig. Wir erfuhren von der schweren Erkrankung unserer mittleren Tochter Frida (damals 13) durch einen Zufallsbefund beim Kinderarzt. Eine Biopsie der Niere brachte ein paar Tage nach dem Erstbefund Klarheit. Bei Frida wurde eine fokal segmentale Glomerulosklerose diagnostiziert – schon in einem Ausmaß, das klar war: Irgendwann wird sie eine neue Niere brauchen. Wann es allerdings soweit sein würde, das wussten wir nicht. Man ging vom „jungen Erwachsenenalter“ aus. Der Auslöser der Erkrankung ist bis heute nicht gefunden. Und es ging schneller – viel schneller als gehofft. Schon ein Jahr nach Erstdiagnose war klar, dass wir Vorbereitungen und Entscheidungen treffen mussten.
Es folgten viele Gespräche über das Was und Wie mit den Ärztinnen und Ärzten an der Uniklinik Köln. Diese Zeit war sehr aufreibend. Wir hatten so gehofft, ein paar Jahre „in Ruhe“ mit der Erkrankung leben zu können, ohne den drastischen Weg einer Transplantation gehen zu müssen. Die Gespräche an der Klinik wurden allerdings ernster.
Wir sollten uns überlegen, ob wir Eltern bereit wären zu spenden – und wer von uns. Vorausgesetzt, die medizinischen Vorgaben werden erfüllt. Mir war klar: Ich würde spenden wollen. Ich habe keine Sekunde gezögert. Die erste Blutabnahme ergab, dass sowohl mein Mann und ich passend wären für eine Lebendspende. Ich sagte ihm, dass ich gerne spenden würde. Denn ich habe keine Angst vor Krankenhäusern, Ärztinnen und Ärzten, Spritzen. Der zweite Grund: Ich bin festangestellt bei einer Agentur, mein Mann ist selbstständig. Ein Wegfall meiner Arbeitskraft würde also durch eine Krankschreibung aufgefangen. Mir war klar: Selbst wenn ich länger brauchen würde, mein Arbeitgeber stand und steht absolut hinter mir und unterstützt mich bei allem. Das half mir dabei, mich ganz auf die OP und unsere Tochter zu konzentrieren.
Vor der OP gab es viele, viele Arzttermine – für Frida und für mich
Die Vorbereitungen für die OP begannen im Spätsommer 2023. Die Ärzte konnten nur spekulieren, wie lange wir Frida von der Dialyse fernhalten konnten. Das bedeutete viele, viele Arzttermine – für Frida, aber auch für mich, um eventuelle Erkrankungen auszuschließen, die einer gut verlaufenden OP im Wege stehen könnten. Glücklicherweise hatte ich durch reguläre Arzttermine bereits einige Befunde vorliegen, die wir nutzen konnten.
Die Vorbereitungen brachten wir mit ziemlichem Tempo hinter uns: Aufklärungsgespräche in der Klinik, psychologische Begutachtung meiner Person und so fort. Zwischendurch die Sorge, ob ich wirklich in allen Bereichen als „In Ordnung“ eingestuft werde. Die Angst, irgendein Befund könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen, war lange da. Dann hätten wir mit der ganzen Prozedur von vorne anfangen müssen und hoffen, dass der Vater in jeder Hinsicht passt. Wir führten in dieser Zeit viele Gespräche mit Freunden und der Familie. So konnten wir unsere Sorgen und Ängste teilen und besprechen, zum Glück wurden wir von einem tollen Netz von Freundschaften aufgegangen. Das hat uns sehr geholfen. Aber auch Frida mit ihrer uneingeschränkten Zuversicht war und ist ein Segen für uns. Gott sei Dank aber war ich uneingeschränkt passend für die Nierenspende.
Letzter großer Termin für mich war der 14. Dezember 2023: die Vorstellung bei der Ethikkommission. Ohne deren Zustimmung geht nichts, hat man mir versichert, auch nicht die Festlegung des OP-Termins im Vorfeld. Das Treffen fand im Gebäude der Kassenärztlichen Vereinigung in Köln-Ossendorf statt. Es war aufwühlend und beeindruckend zugleich. Die vier Personen, darunter Fachärzte und ein Richter waren äußerst nett. Dennoch blieb das – durchaus berechtigte – Gefühl, sie entscheiden jetzt, ob wir im Januar operieren können oder ob die Anstrengungen der vergangenen Monate vielleicht doch umsonst waren.
Die Erleichterung, dass ich spenden konnte, war riesig
Die Erleichterung, als ich nach dem Gespräch das Okay bekam, war riesig. Nun war klar, ich würde Frida eine Niere geben können. Noch auf dem Nachhauseweg habe ich das Professorin Sandra Habbig mitgeteilt, unserer Kindernephrologin. Sofort stand der OP-Termin fest. Es war der 10. Januar 2024.
Fridas großer Wunsch zu Beginn der Planung war, die Adventszeit noch zu Hause verbringen zu können – und vor allem Weihnachten. Sie war regelmäßig müde und kaputt, musste oft zu Hause bleiben. Die Schule lief nur nebenher. Anfang Dezember besuchten wir den Weihnachtszirkus: Ein toller Abend, danach aber ging nicht mehr viel. Sie wurde immer schlapper und kränklicher. Wir malten uns aus, dass der Januar ein ziemlich guter Monat fürs Krankenhaus ist. Das nasskalte Wetter in Köln kann man gut im Bett an sich vorbeiziehen lassen. Und bis Karneval könnten wir eventuell schon wieder auf den Beinen sein.
Wir machten es uns zu Hause so schön und gemütlich, wie es nur ging. Klammerten alle unnötigen Dinge aus und versuchten, die Zeit zu genießen. Aber das war nicht einfach. Zu wissen, was da auf einen selbst und das eigene Kind zukommt: Diese psychische Belastung war enorm. Allerdings galt von Tag eins der Diagnose: Frida ist ein außergewöhnliches Mädchen. Vermutlich sagt das jede Mutter von ihrer Tochter, in diesem Fall stimmt es wirklich. Frida hat alles mit so viel guter Laune und Mut ertragen, wie andere das kaum schaffen können. Immer hatte sie ein Lächeln im Gesicht, wenn die Ärztinnen und Ärzte ins Zimmer kamen und wenn das Pflegepersonal sie ein wenig piesacken musste. Das hat uns so viel Kraft gegeben. Denn sie ist und war unfassbar stark. Die ganze Zeit. Unsere Freunde und unsere Familien halfen und unterstützten, wo sie nur konnten. Aber oft gibt es in solchen Momenten gar nichts, was Außenstehende tun können. Und doch tun der Zuspruch, die lieben Worte und Gesten natürlich gut.
Wir entschieden uns für eine mehrtägige Blutwäsche
Zu ihrer Grunddiagnose kam hinzu, dass Frida einen besonderen Antikörper hatte, der im Zusammenhang mit Transplantation und der Erkrankung noch recht unerforscht war. Erste Studien haben aber gezeigt, dass Nierentransplantate häufiger abgestoßen werden. Daher entschieden wir uns gemeinsam mit den Ärzten, vor der OP eine mehrtägige Blutwäsche durchzuführen. Frida musste deshalb am 27. Dezember 2023 in die Klinik. Dort bekam sie erst eine Sheldon-Anlage, das ist ein Venenzugang am Hals. Und dann ging es mit der Blutwäsche auch schon los – fast täglich. Einige Behandlungen hat sie nicht gut vertragen, sodass wir Pausen machen mussten. Aber wir mussten es ja vor dem OP-Termin geschafft haben. Durch diese anstrengende Zeit hat uns das Team an der Kinderdialyse der Uniklinik unfassbar gut geholfen. Der erste Schreck beim Betreten der Einrichtung wurde uns durch die Fröhlichkeit, Freundlichkeit und Warmherzigkeit aller, die dort arbeiten, schnell genommen. Frida ging sehr gerne hin, auch wenn die Behandlungen oft nicht schön für sie waren.
Zum Jahreswechsel schleppten wir einen Bildschirm samt Switch und alle Zutaten für Sommerrollen in Fridas Zimmer auf Station eins – zu diesem Zeitpunkt ihr Lieblingsessen. Dort wollten wir gemeinsam bis Mitternacht warten. Das haben wir aber nicht geschafft. Um 22 Uhr waren alle so müde, dass wir beschlossen, dass Silvester gar nicht so wichtig ist. Wir ließen Frida in ihrem Zimmer und fuhren mit ihrer kleinen Schwester nach Hause.
Am 8. Januar 2024 war es auch für mich soweit, ich wurde stationär aufgenommen, für letzte Voruntersuchungen und Besprechungen. Frida durfte in der Nacht vor der OP zu mir auf die Station, dass war schön. Und wir waren im 18. Stock, hatten also einen super Ausblick auf Köln. Allerdings war diese Nacht sehr unruhig. Frida ging es nicht gut, oft mussten Pfleger*innen und Ärzt*innen nach ihr sehen.
Für meinen Mann war das einer der schwersten Tage seines Lebens
Dann war der große Tag da. Meine beste Freundin und mein Mann waren um sieben Uhr bei uns. Für ihn war das einer der schwersten Tage seines Lebens. Erst wurde ich abgeholt, zwei Stunden später Frida. Abschied an der Schleuse zum OP-Bereich. Meine Freundin war den ganzen Tag über bei ihm und hat ihn begleitet. Ohne sie wäre es nicht gutgegangen. Die OPs verliefen reibungslos. Meine Niere fing sofort an, in Frida zu arbeiten.
Frida konnte mir abends schon wieder Nachrichten schicken. Die konnte ich aber erst zwei Tage später beantworten, denn die Narkose hatte mich ziemlich umgehauen. Ich brauchte ein paar Tage, um wieder einigermaßen zurechtzukommen. Meine OP-Wunde schmerzte, aber sie heilte gut. Im Großen und Ganzen ging es mir nach den ersten üblen Tagen langsam wieder gut. Mein Mann flitzte derweil zwischen uns hin und her – Gott sei Dank waren die Wege nicht weit. An meinem letzten Tag in der Klinik durfte ich zu Frida auf die Station, endlich konnten wir uns zum ersten Mal nach der OP sehen. Sie war in Quarantäne, viel Besuch ging noch gar nicht. Meine letzte Nacht in der Klinik durfte ich sogar in ihrem Zimmer verbringen.
Unsere ganze Aufmerksamkeit hing nun an den täglichen Werten. Und daran, ob die neue Niere gut arbeitete. Das tat sie. Frida machte tolle Fortschritte, schnell erholte sie sich von den Behandlungen und der OP. Sie hatte einen Mordshunger, fast täglich lieferten wir hausgemachte Kartoffelsuppe oder die geliebte türkische Pizza aus Ehrenfeld.
Irgendwann durfte ich Frida mit nach Hause nehmen
Die Zeit, bis Frida heim durfte, war noch einmal anstrengend. Weil wir sie nicht lange alleine lassen wollten, sie aber auch noch keinen außerfamiliären Besuch wollte. Das setzte uns schon etwas unter Druck. Aber irgendwann durfte ich sie mit nach Hause nehmen. Das war am 29. Januar, knapp drei Wochen nach der OP. Wir waren so glücklich.
Bis heute arbeitet die Niere, wie sie soll. Man kann sich gedanklich noch so gut darauf vorbereiten: Das Auf und Ab nach so einer Transplantation ist groß. Erstmal hat man immer Angst: bei jedem Schnupfen, jedem anormalen Wert, jeder Untersuchung. Damit lernen wir nun zu leben. Dinge normalisieren sich, man wird entspannter. Das gesamte Team der Uniklinik ist immer für uns da. Wir haben immer einen Ansprechpartner, eine Ansprechpartnerin. Dafür sind wir sehr dankbar.
Meine Werte sind ebenfalls völlig in Ordnung. Mit einer Niere lebt es sich genauso gut wie mit zweien. Könnte ich noch was abgeben – ich würde es wieder tun! Annette Benson



